Nicht zuletzt die zögerliche Update-Politik vieler Hardwarehersteller machen den Einsatz alternativer Firmware-Varianten auf Android-Smartphones attraktiv. Sie bieten häufig auch deutlich mehr Features, als die Originale.
Wer schon länger ein Android-Smartphone besitzt, kennt das Dilemma: Beim Kauf war das darauf installierte Android-System noch top aktuell, ein halbes Jahr später gibt es bereits zwei Nachfolgeversionen. Hersteller wie Motorola lassen sich nicht selten ein halbes Jahr oder länger Zeit, bevor sie eine Nachfolgeversion für ihre Geräte anbieten, sofern sie es überhaupt machen. Das Ziel ist klar: Der Kunde soll gefälligst ein neues Gerät mit neuer Firmware kaufen, anstatt das alte zu aktualisieren. Eventuelle Sicherheitslücken im veralteten System hat der Kunde ebenso in kauf zu nehmen wie eine vergleichsweise schwächerer Performance. So geschehen beim Motorola Defy, dem kürzlich das Defy+ folgte. Technisch hat sich nicht viel getan, aber dafür kommt es mit der neuesten Firmware Android 2.3.3 während Besitzer des Vorgängers mit Version 2.2 Vorlieb nehmen müssen. Selbst diese stellte der Hersteller aber erst ein halbes Jahr nach Markteinführung als Update bereit.
Darüber hinaus modifizieren viele Hersteller ihre Firmware mit eigenen Features, oft fragwürdiger Qualität. So stattet beispielsweise Motorola seine Smartphones mit Motoblur aus, das nicht nur eine eigene Oberfläche mitbringt, sondern auch einen Synchronisierungdienst der eine Anmeldung beim Hersteller erfordert. Entfernen lassen sich diese Funktionen auf normalem Wege nicht mehr.
Einen Ausweg aus dieser nicht ganz billigen Spirale bieten herstellerunabhängige Firmware-Distributionen wie beispielsweise CyanogenMod [1]. Diese erschien im Oktober in Version 7.1 für viele Smartphones, unter anderem auch das Motorola Defy. Es setzt auf Android 2.3.7 mit Linux-Kernel 2.6.37 und bietet auf Systemebene deutlich mehr Möglichkeiten als die Original-Firmware – nicht zuletzt deswegen, weil es von Hause aus einen Root-Zugriff auf das System ermöglicht.
Der Artikel beschreibt am Beispiel Motorola Defy die Installation sowie die Vor- und Nachteile der neuen Cyanogenmod-Firmware.
Vorbereitungen
Voraussetzung für den Einsatz alternativer Firmware-Versionen ist ein Root-Zugriff auf das Gerät. Wie Sie Ihr Smartphone entsprechend vorbereiten, lesen Sie ebenfalls in dieser Ausgabe. Da diese jedoch nicht für alle Geräte gleichermaßen zutreffen, erklärt das Wiki [2] von CyanogenMod es für alle unterstützten Geräte in groben Zügen.
Beachten Sie, dass das Aufspielen einer neuen Firmware sämtliche Daten inklusive Apps aus dem Speicher löscht. Entsprechend gilt es vorbereitend, die relevanten Daten auf die SD-Karte zu sichern. Eine wertvolle Hilfe, Ihre SMS-Kommunikation, den Telefonverlauf und gespeicherte Mediadaten zu sichern bietet Ihnen die kostenfreie App MyBackup Root [3]. Beim Backup Ihrer Apps hilft Ihnen Titanium Backup [4] (Abbildung 1). Ein Sichern des Kalenders bzw. des Telefonbuchs ist normalerweise nicht nötig, da Google sie beim erneuten Einrichten des Telefons automatisch mit der Online-Version synchronisiert.

Danach laden Sie die Firmware von CyanogenMod 7.1 herunter und transferieren sie als ZIP-Paket auf die Speicherkarte Ihres Smartphones. Da die Entwickler wegen Rechtsstreitigkeiten mit Google deren Apps wie den Market, Maps oder Googlemail aus der Firmware entfernen mussten, benötigen Sie darüber hinaus die gApps [5], die Sie ebenfalls auf der SD-Karte des Defy speichern.
Abschließend richten Sie den alternativen Boot-Loader Defy 2ndInit [6] über den Market ein. Beachten Sie, dass die Ladung des Akkus vor dem Aufspielen der neuen Firmware mindestens 70 Prozent betragen muss.
Installation
Die eigentliche Installation der neuen Firmware beginnt damit, dass Sie das Gerät herunterfahren und kurzzeitig den Akku entfernen. Drücken Sie danach die Einschalttaste und warten Sie ab, bis das LED oben links beginnt, blau zu leuchten. Jetzt drücken Sie die Lautstärkewippe nach unten (Ton leiser), worauf das Boot-Menü (Abbildung 2) erscheint. Im Menü navigieren Sie mit den Lautstärketasten nach oben und unten, mit dem Einschaltknopf übernehmen Sie eine Anwahl.

Wechseln Sie jetzt in den Pfad Recovery | Stable Recovery. Möchten Sie die aktuelle Installation sichern um sie an einem späteren Zeitpunkt wiederherstellen zu können, wechseln sie zu Backup and restore und wählen darin Backup aus. Die Sicherung der Daten nimmt danach einige Minuten in Anspruch. Sie erreichen das Boot-Menü auch nach der Installation von CyanogenMod auf die beschriebene Weise. Zum Wiederherstellen der Sicherung wählen Sie im gleichen Menü Restore anstelle von Backup.
Um den Speicher für die neue Firmware vorzubereiten wählen Sie aus dem Menü zuerst Wipe data/factory reset und danach den Eintrag darunter Wipe cache partition. Danach wechseln Sie in Install zip from sdcard | choose zip from sdcard. Daraufhin erscheint ein rudimentärer Dateibrowser, in dem Sie in das Zielverzeichnis navigieren und die heruntergeladene CyanogenMod-Firmware mit einem Druck auf den Einschaltknopf anwählen. Danach erscheint die Sicherheitsabfrage confirm install in der Sie Ihre Auswahl bestätigen worauf die Installation beginnt. Um die Google Apps zu installieren wiederholen Sie die genannten Schritte und wählen stattdessen das Zip-Archiv der gApps.
Die Installation dauert etwa zehn Minuten und mündet in einem Neustart des Systems.
Der erste Start
Nach dem ersten Start erscheint zunächst der DEFY Baseband Switcher, der es Ihnen erlaubt, die Frequenz zu wählen, die das Smarthpone nutzt. In der Praxis hat sich in Deutschland Europe RT 3.4.2-145 am besten bewährt.
Schon beim ersten Hochfahren fällt auf: Das System agiert deutlich flotter als mit der Original-Firmware. Es vermittelt das Gefühl, ein erheblich performanteres Smartphone in Händen zu halten. Apps öffnen deutlich schneller, der Übergang zwischen den Desktops geschieht ohne Ruckler, der Browser baut Seiten deutlich schneller auf. Was sich zunächst arg euphemistisch anhört, unterstreicht der Leistungstest. So erreicht das Defy mit der Original-Firmware im Vellamo-Benchmark 389 Punkte, mit CyanogenMod dagegen 625 Zähler. Ein Geschwindigkeitszuwachs von 60 Prozent. Auch beim AnTuTu-Benchmark punktete die Alternative: Hier brachte es die Original-Firmware auf etwa 2000 Zähler, CyanogenMod dagegen auf knapp 2500 (Abbildung 3). Das Nachfolgemodell Defy+ kommt auf etwa 3000 Punkte und ist damit nur unwesentlich schneller.

Was auffällt: Der Benchmark erkennt eine 1000-MHz-CPU, Motorola verbaut jedoch eine mit 800 MHz im Defy. Des Rätsels Lösung ist der Boot-Manager, der es erlaubt, die Taktung des Prozessors zu beeinflussen. Darin ist ein Maximalwert von 1000 MHz eingestellt. Auf 800 MHz gedrosselt erreichte das Defy mit CyanogenMod im AnTuTu-Benchmark noch 2152 Punkte und lag damit nahe am Original. 539 Zähler erreichte hingegen Vellamo. Gerüchten zufolge soll die CPU aber von Hause aus auf 1000 MHz ausgelegt sein und wurde nur zur Akkuschonung von Motorola auf 800 MHz gedrosselt. Instabilitäten durch die potentielle Übertaktung traten während der 14-tägigen Testperiode nicht auf.
Zusatzfunktionen
Auch was die Funktionalität betrifft, stellt die alternative Firmware die von Motorola in fast allen Belangen in den Schatten. Diverse Zusatzfeatures finden Sie in den Einstellungen zusammengefasst unter CyanogenMod. Aktivieren Sie beispielsweise unter Anwendungseinstellungen den Punkt Berechtigungsverw., können Sie zukünftig installierten Apps nachträglich Berechtigungen entziehen (siehe Kasten „Berechtigungen verwalten“). Das Aktivieren von Verschieben erlauben in der gleichen Rubrik ermöglicht es Ihnen, auch Apps auf die SD-Karte zu verschieben, die das normalerweise nicht zulassen.
Berechtigungen verwalten
Wurde in den CyanogenMod-Einstellungen die Option Berechtigungsverw. aktiviert, können Sie jeder installierten App nachträglich Zugriffsberechtigungen auf Ihre Daten und das Smartphone entziehen. Wechseln Sie dafür in den Einstellungen in die Rubrik Apps. Ein Tip auf Anwendungen verwalten öffnet die Liste aller installierten Apps. Tippen Sie danach auf eine davon, um in die Detailansicht zu gelangen und scrollen Sie nach unten zur Rubrik Berechtigungen. Jetzt genügt es, auf eine der Berechtigungen zu tippen, um sie zu deaktivieren. Sie erscheinen danach durchgestrichen (Abbildung 4).

Unter Leistungseinstellungen stehen Ihnen diverse Funktionen zur Verfügung, die Performance des Smartphones zu beeinflussen. So aktivieren Sie darin beispielsweise den Dalvik-Just-in-Time-Compiler oder setzen in den CPU-Einstellungen legen Sie die minimale und maximale Taktfrequenz der CPU fest, unter Verfügbare Governor stellen Sie ein, wer diese festlegt. Aktivieren Sie hier beispielsweise Performance, läuft die CPU konstant mit der höchsten eingestellten Leistung.
Die Rubrik Eingabeeinstellungen erlaubt es Ihnen, sämtliche Tasten des Defy neu zu belegen beziehungsweise zu konfigurieren. Unter Haptisches Feedback legen Sie im Detail fest, wann und in welcher Form Ihnen das Telefon eine Rückmeldung als Vibration gibt.
Auch abseits dieses Setups bietet die Firmware einige interessante Ergänzungen. So sorgt beispielsweise bei einer geöffneten Anwendung ein längerer Druck auf den Zurück-Button dafür, dass sie sich sofort schließt und nicht im Hintergrund weiter läuft, wie es häufig der Fall ist. Diese Funktion gilt es jedoch zuerst unter der Rubrik Apps | Entwicklung zu aktivieren.
Dem Browser spendierten die Entwickler einen Incognito-Modus. Sie erreichen Ihn, indem Sie in den Einstellungen der App auf Mehr klicken, und danach Anonymes Browsen ein anwählen. Wer eine sichere Verbindung mit seinem Heimnetzwerk einrichten möchte, dem stellt die Firmware neben dem üblichen L2TP-VPN auch OpenVPN zur Seite, das sich vor allem durch seine deutlich einfachere Konfiguration auszeichnet.
Den Experten unter den Nutzern stehen die so genannten Dev Tools zur Verfügung. Da die dort getroffenen Einstellungen sehr tief ins System eingreifen, sollten Sie Änderungen aber nur dann vornehmen, wenn sie genau wissen, was sie tun. Allerdings ermöglichen sie nicht nur, Werte zu ändern, sondern eine Menge an Informationen aus dem System auszulesen. So zeigt beispielsweise Show Permissions eine Aufstellung sämtlicher App-Berechtigungen und der Anwendungen, die sie besitzen. Allerdings verhindert ein Bug, die entsprechenden Berechtigungen im Zweifelsfall zu ändern. Ein Tip auf die gewünschte App führt zum Absturz des Programms. Ähnlich verhält es sich beim Aktivieren von Google Login Service, das zum sofortigen Crash der App führt.
Erfreulicher ist hingegen die deutlich bessere Kamera-App, die ungleich mehr Funktionen als die der Original-Firmware mitbringt. Neben diversen Autofokus-Vorgeben wie Touch oder Unendlich erlaubt sie es auch, festzulegen, ob die Standortdaten ins Feld geschrieben werden oder nicht. Der Videomodus produziert Filme bis zu einer Größe von 640×480 oder 848×480 Pixeln im MP4-Format.
Für den audiophilen Genuß sorgt die mitgelieferte App DSPManager. Sie erlaubt für unterschiedliche Wiedergabegeräte, etwa Kopfhörer oder eingebauter Lautsprecher, eine Vielzahl von klanglichen Anpassungen (Abbildung 5).

Die Schattenseiten
Allerdings gibt es über CyanogenMod nicht nur Gutes zu berichten. So stieg der Akku-Verbrauch des Defy um fast das Doppelte gegenüber der Original-Firmware. Für Abhilfe sorgte die App JuiceDefender [7]. Mit ihr sank der Energiehunger drastisch und überbot sogar die Laufzeit der Motorola-Firmware. Warum der moderate Akku-Verbrauch auch nach dem Deaktivieren der App erhalten blieb, konnte nicht abschließend geklärt werden.
Nach wie vor ein stetiges Ärgernis ist hingegen die fehlerbehaftete USB-Erkennung. Aus bislang unerfindlichen Gründen startet das Smartphone sporadisch die USB-Verwaltung beim Verbinden mit dem PC nicht, was ein Laden beziehungsweise den Datentransfer verhindert. Erst ein Neustart behebt das Problem.
Ein ähnliches Problem trat beim Tippen auf den Suchen-Button auf, den die Software sporadisch schlicht ignorierte.
Weniger ins Gewicht fällt, dass vor allem die CyanogenMod-spezifischen Funktionen bislang nicht durchgängig ins Deutsche übersetzt wurden und deswegen zum Teil nur in Englisch zur Verfügung stehen.
Fazit
Der CyanogenMod überzeugt mit einer Fülle meist sinnvoller Zusatzfunktionen, die den Betrieb des Smartphones nicht nur sicherer, sondern auch schneller machen. So attestiert der Vellamo-Benchmark dem Gerät eine um 60 Prozent gesteigerte Leistung gegenüber dem Original. Aktuelle Defy-Nutzer, die mit dem Gedanken spielen, sich das Defy+ zuzulegen, sollten zuerst diese Firmware auf ihrem alten Gerät ausprobieren. So sparen Sie sich womöglich 250 Euro.
[UPDATE 02.12.2012: Die im Artikel genannten Links für 2ndinit und den Gapps führen inzwischen leider ins Leere. Die Informationsquellen für den Bezug der Apps finden Sie in den amerikanischen Foren xda-developers und motoroladefy. Direkte Links zum Herunterladen wären 2ndinit und Gapps für CyanogenMod 7.1, beachten Sie bitte aber dass die direkten Links eventuell in Zukunft auch wieder nicht stimmen könnten.]